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Archiv
Ferdinand Raimund Nachrichten
Theater in der Josefstadt |
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Der Alpenkönig und der Menschenfeind
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Premiere 4. Dezember 2003
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Erich Schleyer (Alpenkönig),
Herbert Föttinger (Rappelkopf)
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Rappelkopf macht seinen Mitmenschen durch seine krankhaften Wahnvorstellungen das Leben zur Hölle. Überall wittert er Komplotte und Anschläge auf sein Leben, sogar den harmlosen Diener verdächtigt er, ihm nach dem Leben zu trachten. Deshalb flieht er in die Einsamkeit des Waldes. Da tritt Astragalus, der Alpenkönig, auf den Plan, um ihn zu kurieren: Er selbst nimmt die Gestalt Rappelkopfs an und läßt diesen als seinen Schwager Silberkern auftreten. So sieht Rappelkopf, wie widerwärtig sein Treiben war, und diese Selbsterkenntnis läßt ihn vom Menschenfeind zum Menschenfreund werden.
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Musik von Gerhard Gruber
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Astragalus, der Alpenkönig Erich Schleyer
Herr von Rappelkopf, ein reicher Gutsbesitzer Herbert Föttinger
Sophie, seine Frau Sandra Cervik
Malchen, seine Tochter Dagmar Hütl
August Dorn, ein junger Maler Markus Schöttl
Herr von Silberkern, Sophies Bruder Siegfried Walther
Lieschen, Malchens Kammermädchen Bernadette Abendstein
Habakuk, Bedienter bei Rappelkopf Ossy Kolmann
Christian Glühwurm, ein Kohlenbrenner Heinrich Herki
Marthe, sein Weib Marianne Chappuis
Salchen, ihre Tochter Johanna Arrouas
Hänschen Ronald Hein
Christoph Karin Lischka
Andres Markus Schöttl
Sebastian, Kutscher Friedrich Schwardtmann
Sabine, Köchin Susanna Wiegand
Alpenor Karin Lischka
Linarius Ronald Hein
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Regie Hans Gratzer und Hanspeter Horner
Bühnenbild und Kostüme Rolf Langenfass
Choreographie Alonso Barros
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Herbert Föttinger (Rappelkopf), Sandra Cervik (Sophie)
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Vom Berg ruft die innere Stimme
„Der Alpenkönig und der Menschenfeind„ von Raimund in der Josefstadt: Entzaubert, doch zauberhaft, verkürzt, doch umso schärfer
Der Alpenkönig hält Wacht auf dem wie in ein Bilderbuch gemalten Bergjoch, grau wie ein Gämsenjä ger gekleidet, ein Gewehr in der Hand. Ein Einsamer, ohne die Alpengeister-Jagdgesellschaft, wie sie Ferdinand Raimund 1828 in der Ouvertüre vorgeschrieben hat. Darum fehlen auch Alpenkönigs tiefgrüne Schelte „Laßt, ihr jagdberauschten Schergen, ruh'n das Gemsvolk (alte Rechtschreibung!) in den Bergen“ sowie die brünftige Widerrede „Wenn die gold'ne Kugel … in der Gemse Blut sich badet: Das ist echte Weidmannslust, das erhebt des Jägers Brust“. Gestrichen sind die schröcklichen Erscheinungen der drei Frauen, die der Rappelkopf überlebt hat. Vom Orchester (Musik: Gerhard Gruber nach Wenzel Müller) blieben ein Klavier und eine Violine. Ein ärmlicher, dürrer Raimund und eben darum so schlagend genau.
Den Wortwitz, oft von nestroyscher Schärfe, sowie das Menschenbesserungspathos haben Hans Gratzer und Hanspeter Horner in der Josefstadt wie mit Deckweiß herausgehoben aus dem bunten Zauberspiel. Helle Wände, Kostüme in der Grau-braunskala: eine Augenweide nach den grellbunten Exzessen der ersten Premieren in der neuen Direktionsära. Rolf Langenfass, schon im alten Regime Ausstattungsleiter, hat wieder das Regiment übernommen. Keiner kennt die Wunder und Tücken der Josefstädter Bühne besser als er.
Der reiche Gutsbesitzer Rappelkopf ist die erschreckend witzige Karikatur eines menschenverachtenden Grobians, der erst in Todesangst Besserung gelobt, wenn ihm buchstäblich das Wasser bis zum Hals steht. Die Aktienkurse fallen, die Bank falliert: Solche Katastrophen machen Rappelkopf nicht mürbe, sondern nur noch wilder.
Aber bringt wirklich das vom Alpenkönig inszenierte Unwetter die Wende? Oft meint man in dieser Inszenierung, der Herr der Berggeister sei bloß eine innere Stimme ein unzerstörbarer humaner Cantus firmus, der sogar furchtbarste Gestalten auf den Weg der Besserung lenkt. Manchmal erstarrt das Spiel zur geheimnisvollen Ruhe einer selbst verordneten Nachdenkpause.
Herbert Föttinger ist dieser Herr von Rappelkopf: deutlich jünger als Wiener Vorgänger wie Michael Heltau, Fritz Holzer, Attila Hörbiger, Hermann Thimig darum viel ferner dem Klischee des unleidlichen Altersgrantlers. Ein solcher Kraftlackel ringt bis zuletzt ums Herrschen, Rechthaben. Im genial erfundenen Duell mit dem Doppelgänger (dem Alpenkönig) nähert er sich bis auf den Millimeter dem Tötungsschuss, der ein Selbstmord wäre. Über das Gesicht dieses Tobenden huschen Schimmer von Lebensangst, Verzweiflung. Föttinger: ein ganz Lebendiger, kein platter Pappkamerad aus der Mappe der Menschlichkeit.
Jede hehre Stimme der Weisheit, Vernunft tönt naturgemäß hohler: Erich Schleyer figuriert rank und schlank im gämsengrauen bodenlangen Mantel und explodiert erst in der Maske Rappelkopfs. Ein wundersames minutenlanges Feuerwerk!
Keine Fehlstelle im streng geführten Ensemble! Wo Bernadette Abendstein als Kammerjungfer Lieschen mit rescher Unbeugsamkeit entzückt und Johanna Arrouas und Markus Schöttl die klassisch-naiven jungen Liebenden mit feinnerviger Anmut mimen.
Von Sandra Cervik weiß man, dass sie im zivilen Leben Herbert Föttinger angetraut ist. Als Frau von Rappelkopf steht sie auf dem Prüfstand: Zerreißt das Band, das Mann und Frau zusammenhält? Nein, es ist wie aus Gummi. Sandra Cervik zeigt auch das Quälende, Aussichtslose solchen Aneinandergekettetseins. Darum will auch keine Happy-end-Seligkeit aufkommen.
Kleine Partien sind in altfeiner Josefstadt-Qualität besetzt: mit Marianne Chappuis (Köhlersfrau), mit Friedrich Schwardtmann (Kutscher). Susanna Wiegand (Köchin) und Siegfried Walther (Rappelkopfs Schwager) holen sich Beifall mit naturkomischer Wucht und auch die Köhler-Kinder mit ihrem unverstellten Charme.
In schöner Regelmäßigkeit geistert ein altes Männchen in Livree durch die Szene, wie ein spinnenbeiniges Gespenst, das man nicht anzufassen wagt: Das ist der Diener Habakuk, der behauptet, zwei Jahre in Paris gewesen zu sein. Ossy Kolmann möcht man es gerne glauben, diesem Grauhaar mit dem verschmitzten Weisengesicht.
Dem Theater in der Josefstadt ist, spät genug, ein Abend gelungen, aus dem die Stammgäste nicht flüchten und der auch Neulinge anziehen wird. Das ließ jedenfalls der laute, herzliche Premierenapplaus erwarten.
Hans Haider (Die Presse, 6. Dezember 2003)
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Alpenkönig in der Josefstadt
Die vierte Premiere der Ära Hans Gratzer dürfte der erste Erfolg werden
Wird er es diesmal schaffen? Die Stimmung im Theater in der Josefstadt war nach den vergangenen drei nicht gut aufgenommenen Produktionen des neuen Direktors Hans Gratzer gespannt. Und gelöst wirkte das Theater erst nach dem langen Schlussapplaus. Ja, Ferdinand Raimunds Klassiker „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ dürfte es schaffen, das Publikum wieder zu versöhnen.
Dabei haben die Regisseure Hans Gratzer und Hanspeter Horner nicht viele Kompromisse gemacht. Sie präsentieren ein von Zaubertand befreites Stück. Der Alpenkönig ist kein glutäugiges Zauberwesen, sondern ein grau gekleideter Philosoph im Designerrock.
Raimund macht in seinem Besserungsstück, was moderne Psychologie bei Konflikten empfiehlt: „Tauscht die Rollen und seht das Ganze von der anderen Warte!“ Der grantelnde Menschenfeind wird vom Alpenkönig in die Gestalt seines Schwagers verzaubert und muss erkennen, dass er an seiner Familie Unrecht begeht.
Herbert Föttinger spielt den Wutentbrannten sehr gepresst die wenigen Couplets springen nur so aus ihm heraus. Aber er ist glaubhaft, weil die Regie ihn nicht ins Lächerliche abgleiten lässt. Der Alpenkönig, der ihm den Spiegel vorhält, ist für Läuterung ebenso zuständig wie für Rührung. „Alles wird gut“ vermittelt Erich Schleyer mit ruhiger Gefasstheit.
Für Komik sind die Nebenfiguren zuständig: Bernadette Abendstein gibt ein Gänschen von Kammermädchen, Susanne Wiegand eine verschüchterte Köchin. Ossy Kolmann als Bedienter heimst mit dem Standardsatz „Ich war ja zwei Jahre in Paris“ den meisten Szenenapplaus für die Darstellung einer zerbrechlichen Seele ein.
Helmut Schneider (Salzburger Nachrichten, 6. Dezember 2003)
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Bankrotteur von Herz und Portemonnaie
Mit einer wehmütigen, aber auch arg reflexionsarmen Inszenierung von Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ übersiedelt das Wiener Josefstadt-Theater in ruhigere Gewässer. Hans Gratzer und Hanspeter Horner erzählen. Unklar bleibt, was.
Wien Der grimmige Lebensekel, der den Gutsbesitzer Rappelkopf gegen Frau, Kind und Gesinde völlig überzogen wüten lässt, ist ein Horror Vacui und zugleich eine tief sitzende Erkenntnis. Das abstrakte Zirkulieren der Kapitalströme Ferdinand Raimund, der unglückliche Dichter von Der Alpenkönig und der Menschenfeind, schreibt auch dann noch über Geld, wenn er lediglich Feen, Elfen und Genien bemüht folgt keiner nachvollziehbaren Regel.
Das Wüten der Geschäftswelt heute: des „Kapitals“ verheert die Seelen. Schlimmer noch: Rappelkopf (Herbert Föttinger), im Wiener Josefstadt-Theater ein großstadtflüchtiger, erregungsheiß losbellender Angstbeißer und Verbaltotschläger, gewärtigt die Untreue seiner Lieben, weil er den drohenden Verlust seines Stammkapitals fürchten muss und die auf Loyalität gegründeten Beziehungen als bloße Anhängsel von Geldverbindungen erkennt.
In wenigen erkenntnishellen Augenblicken macht sich Hans Gratzers und Hanspeter Horners ansonsten sterbensmatte, frühzeitig welke Raimund-Inszenierung auf die Verstörungszusammenhänge ihren eigenen Reim.
Dann klammert sich Föttinger wie besinnungslos an eine Schuhschachtel in Tischladenform, in deren Inhalt auch sein geschundenes, ewig fröstelndes Eheweib in der Fransenstola (Sandra Cervik) gedankenverloren nachkramt, um einen Zettel aus Raimunds Nachlass herzinnig nachzubeten: irgendetwas über Traurigkeit und Liebeszänkerei.
Man möchte Schierling reichen und eine Schale grünen Abführtees so abgezehrt glänzt die voralpine Pracht des von allen eingebildeten Hunden der Tollwut gebissenen Gutensteiner Vormärz-Dichters. So ganz außer jeder Diskussion steht, was diese Meditation über die Bedingungen friedvollen Zusammenlebens heute überhaupt (noch) bedeuten könnte.
Raimund predigt beileibe nicht die Armut; nichts Erschütternderes findet sich als die Köhler-Szene nach Rappelkopfs überstürztem Auszug, als der menschenflüchtige Gutsbesitzer die vor Hunger kaum noch stehen könnenden Hinterwäldler aus deren Kate verscheucht.
Hasch-mich-Spiele
Im Josefstadt-Theater, wo man mittlerweile schon darüber frohlockt, dass Szenen unfallfrei über die Bühne mit ihren ewig gleichen Portalbögen gehen (Ausstattung: Rolf Langenfass), pflegt man Hasch-mich-Spiele. Der Diener Habakuk (Ossy Kolmann), dessen einzige Seligkeit in der Einbildung besteht, er hätte zwei Jahre in Paris gedient, wischt als kreidebleiches Hohes Alter in Knopfgamaschen über die Bühne schluckt die Pointen herunter wie Beruhigungspillen und wirkt angemessen entrückt.
Nach einigen spaßgesellschaftlichen Theatermangelübungen zu Saisonbeginn wird hier vom gilbenden Blatt inszeniert. Nur: was? Föttingers brunftkeuchende Selbsterregung, seine panische Nackenstarre, sein gehetztes Außer-sich-Sein ankern mit beiden Beinen fest im 19. Säkulum. Schopenhauers Nihilismus irrlichtert von ferne. Hier, im Vormärz eines leergebrannten Theaters, zackt die Alpe, gähnt der Pappendeckelgrat und heraus steigt ein sonor sedierter, alpenköniglicher Jägersmann (Erich Schleyer), dem man nicht zutraut, eine Autobahntaufe unfallfrei zu überstehen.
Im Josefstadt-Theater weist man alle Anwandlungen einer schmerzhaft einsetzenden Reflexion von sich. Man erfreut sich kindlich an Pappendeckelrössern, die an Doppelseilen gen Schnürboden auffahren. Man wirft wackere Schauspielschüler in Tüllwickel und lässt sie stoa-steirisch dilettieren. Gratzers Theater behauptet das Märchen, von dessen erschütternder Auflösung Raimunds Wahnwitz erzählt. Der freundliche Applaus sollte eine winterliche Beruhigung anzeigen: Lasst Gratzer und sein Team arbeiten! Zu befürchten steht, dass darüber der Genius des Theaters allmählich entschläft.
Ronald Pohl (Der Standard, 6./7./8. Dezember 2003)
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Graue Pappendeckel-Welt
„Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in der Josefstadt
„So dreht die Welt sich immerfort, und bleibt ja doch an einem Ort.“ Diese Abschiedsworte von Herbert Föttinger als bekehrter Menschenfeind stehen bei Ferdinand Raimund zwar nicht im Text. Man kann sie aber gut als belanglose wie zeitlose Deutung der Josefstadt-Inszenierung (Hans Gratzer, Hans Peter Horner) von „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ stehen lassen.
Vierter Versuch
Nach Kitsch und Glitzer, Spektakel und Spekulation kann man jetzt mit der vierten Produktion der Direktion Gratzer einen Abend erleben, der sich vorsichtig dem annähert, was man als gehobenes Sommertheater bezeichnet. Allerdings stellt man mittlerweile selbst im Sommertheater-Betrieb neben der Erfüllung des Auftrags der Unterhaltung Fragen nach Heutigkeit und Relevanz der so beliebten, traditionellen Stoffe.
So weit wollte man dann doch nicht gehen. Serviert wird eine entschlackte, teilweise umgruppierte Fassung des romantisch-komischen Zauberspiels, dem nicht nur auf Grund der gestrichenen Alpengeister der Zauber genommen wurde: Was dem Haus dringendst fehlt, ist ein Bühnenbildner, der Theaterräume anstelle von Showbühnen ersinnen kann. Zwar ist die Buntheit zu Gunsten einer Schwarz-Weiß-Malerei gewichen, was der Aufführung wohl einen noblen Touch geben soll (Bühne: Rolf Langenfass). Doch wirkt der ganze Schablonen-Schnick-Schnack billig wie Pappendeckel, stürzt manche Szene dadurch ab in die Peinlichkeit.
Wo es so an atmosphärischer Theatralik fehlt, haben es Schauspieler nicht leicht, Glaubwürdigkeit und Stimmung zu verbreiten. Trotzdem: Herbert Föttinger gibt einen glänzenden Einstieg als sehr junger Rappelkopf und zeigt, was er kann. Schnell, wortdeutlich und ausdrucksstark tut er seinen Unmut über Familie und Dienerschaft kund. Dass er bei einer eher lauten und vordergründigen Darstellung bleibt und selten Zwischentöne setzt, ist wohl Regieanweisung. Auch Sandra Cervik, im Stück Rappelkopfs geschundene Frau Sophie und im wirklichen Leben Föttingers Ehefrau, agiert sicher und souverän. Man kann beiden nur wünschen, irgendwann wieder einmal in einer künstlerisch interessanten, zeitgenössischen Produktion spielen zu dürfen. Ossy Kolmann ist ein Publikumsliebling von einem Habakuk, Erich Schleyer gibt einen salbungsvollen, pathetischen Alpenkönig.
Ein dankbares Premieren-Publikum spendete viel Applaus, vielleicht bahnt sich zumindest ein Erfolg in Auslastungszahlen an.
Caro Wiesauer (Kurier, 6. Dezember 2003)
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