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Archiv
Ferdinand Raimund Nachrichten
Landestheater Linz |
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Der Alpenkönig und der Menschenfeind
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Premiere 24. September 2005
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Rappelkopf heißt der reiche Gutsbesitzer und als ein solcher benimmt er sich auch. Er ist laut und jähzornig, misstrauisch gegen seine Bedienten und auch seine Familie schont er nicht. Seine Frau bezichtigt er der Untreue, seiner Tochter Malchen untersagt er die Liebe zu ihrem Maler August. Rappelkopfs Bedienstete drohen schon ihren Dienst aufzukündigen, als er, einen Mordanschlag witternd, den Koch Habakuk mit einem Küchenmesser in der Hand sieht und in die Wälder flieht. Hier erscheint ihm der Alpenkönig Astragalus. Dieser dem Liebespaar wohlgesonnen startet ein komplexes „Therapie-Programm“, um den Menschenfeind Rappelkopf von seiner misantrophen Neigung zu kurieren und zur Selbsterkenntnis zu zwingen. Erst widersetzt sich Rappelkopf dem Angebot, doch als er durch das Erscheinen seiner drei verstorbenen Frauen in Todesangst versetzt wird, nimmt er die Hilfe an. Und so wird mit Zauber und Verwandlung dem Rappelkopf sein wahres, schreckliches Wesen vorgeführt, bis er letztlich als ein Geheilter aus seiner Ohnmacht erwacht und aus dem Menschenfeind ein Menschenfreund wird. Dann steht am Ende auch der Liebe von Malchen und August nichts mehr im Wege.
„Der Mensch soll vor allem sich selber erkennen, / Ein Satz, den die ältesten Weisen schon nennen“. In diesen Liedzeilen liegt die Quintessenz der Raimundschen Philosophie und mit der Schilderung der Methoden zur Selbsterkenntnis hat Raimund bereits früh Verfahren der Psychotherapie vorweggenommen.
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Astragalus, der Alpenkönig Heinz Weixelbraun
Linarius, Alpengeist/Christian Glühwurm, ein Kohlenbrenner Joachim Rathke
Alpanor, Alpengeist/Marthe, Glühwurms Weib Eva-Maria Aichner, Maxi Blaha
Herr von Rappelkopf, ein reicher Gutsbesitzer Sven-Christian Habich
Sophie, seine Frau Sigrun Schneggenburger
Malchen, seine Tochter/Salchen, Glühwurms Tochter Gunda Schanderer
Herr von Silberkern, Sophiens Bruder/Sebastian, Kutscher in Rappelkopfs Dienst Christian Bauer
August Dorn, ein junger Maler/Franzel, ein Holzhauer, Salchens Bräutigam Konstantin Bühler
Lischen, Malchens Kammermädchen Verena Koch
Habakuk, Bedienter bei Rappelkopf Martin Müller-Reisinger
Hänschen Georg Atteneder/Valentin Huber
Christoph Johann Atteneder/Elias Walchshofer
Andres Emil Pitz/Moritz Rathke
Rappelkopfs verstorbene Weiber Sonja Bader, Susanne Kuffner, Dolores Winkler
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Inszenierung Hans Escher
Bühne und Kostüme Renato Uz
Musik Koloman Polak
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Die Bierkapselrepublik
Hans Eschers Inszenierung von „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in den Linzer Kammerspielen
Wenn der brillante Heinz Weixelbraun seine Sprache plötzlich ins Wienerische abdriften lässt oder wenn er aus der Rolle des Astragalus in jene des Rappelkopf und wieder zurück buchstäblich fährt, dann wird klar, dass im Land, in dem alles relativ ist, genauso gut Qualtinger und Haderer Vorfahren von Ferdinand Raimund sein könnten wie umgekehrt.
In Hans Eschers Inszenierung von „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ in den Linzer Kammerspielen verschachtelt sich ein gleichsam zeitloses Kompendium der österreichischen Seele zu einem Gaudium, in dem nicht viel, aber noch allemal genug psychologisiert wird. Hauptsächlich auf der Ebene von Zuspitzungen, Persiflagen, Grotesken und Anspielungen.
Es rumort ganz schön in den scheinbaren Untiefen der rasanten, pointenreichen Handlungsabläufe. Diese spielen sich auf der kargen Bühne von Renato Uz ab, wo sich die Figuren vor, hinter, auf, neben und in einem bierkapselbewehrten multifunktionalen Schrank tummeln: esoterische Freaks um den weißbemähnten Guru Alpenkönig, trachtenbehangene, auszuckende und anlassige, aggressive und feige Charaktere, dienende und herrschende, wie es eben die diversen austriakischen Spiegel so zeigen. Gleichzeitig werden sie aber auch ein wenig internationalisiert, von der Sprache bis zu den von Koloman Polak witzig modernisierten Couplets.
Sven-Christian Habich glänzt rundum in der Rolle des Rappelkopf, Sigrun Schneggenburger als seine Frau ist so was von ergeben, dass es schon wieder fraglich wird. Verena Koch gibt ein erotisch-kokettes, herbes Kammermädchen, dem wienerisches Intrigantentum durchaus geläufig ist. Das Publikum wird auch in den folgenden Vorstellungen ob der flotten, kabarettistisch orientierten Inszenierung und der fulminanten Schauspielerleistungen jubeln.
(kann/Der Standard, 29. September 2005)
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Erkenntnis-Tempel, Zweigstelle Linz
Zum Triumph für Darsteller Sven-Christian Habich wurde vorgestern der Saisonstart am Linzer Landestheater. Der grandios gereifte Volksschauspieler bewies in Ferdinand Raimunds „Alpenkönig“ (Regie: Hans Escher) auch umwerfend mitreißendes Entertainer-Format.
Treibende lateinamerikanische Rhythmen putzen den Alltag aus den Gehörgängen des Publikums. Der Samba-Sound zuckt auch den Alpengeistern in die Glieder. Wild tanzen sie um einen blinkenden Schrein aus riesigen, mit Fotos collagierten Bierkapseln, huldigen ihrem Herrscher: Astralagus, erste Titelfigur aus „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ , romantisch-komisches Märchen mit Gesang in drei Aufzügen vom Urwiener Dramatiker Ferdinand Raimund im Jahr 1828 erdacht.
Sein Darsteller Heinz Weixelbraun gibt dem Mächtigen in der aktuellen Inszenierung am Linzer Landestheater ein rundum überzeugendes Format. Weixelbraun bringt den Astralagus in eine großartige Darstellungscollage. Hochwertigste sprachliche Präzision verschmilzt mit wuchtiger Wandlungsfähigkeit zur hinterfotzigen Freud-Persiflage und herben Herrscher-Ikonographie.
Apropos Collage: Diese Technik des Ineinander- und Überlappens von Schichtungen hat der Wiener Regisseur Hans Escher sowohl als inzenatorischen Kunstgriff angewendet, als auch in das inhaltlich-philosophische Zentrum seiner Interpretation gestellt.
Virtuos montiert er die Ebenen von Raimunds Parabel auf das melancholie- und depressionsgefährdete menschliche Seelenleben unter Fragmente des Satirischen, des Pittoresken, des Absurden. Exakte Seitenhiebe auf dubiose esoterische Praktiken inklusive. Willkommen im Erkenntnis-Tempel, Zweigstelle Linz!
Virtuos konterkariert Escher damit die psychoanalytische Grundstruktur dieses Stückes: Erst das Heraustreten aus dem üblichen System, aus dem gewohnten Muster, ermöglicht einen realistischen Blick auf sich selbst.
Virtuos gelingt Escher auch sein Aufbau des Stücks als urkomisches Nummernkabarett, das bekannte Couplets mit aktuellen Zeitbezügen durchschneiden. Koloman Polak hat sie kompositorisch aktualisiert. Vom schrägen Rap über das Weana-Trenz-G’sangl bis hin zum herzhaften Balkansound ein „ohraler“ Genuss.
So üppig die Musik, so reduziert das Dreh-Bühnenbild von Renato Uz: Der Bierkapselschrein zieht seine Kreise. Als assoziativ anregender und multifunktional überraschender Tabernakelschrank zwischenmenschlicher Psycho-Spiele, aus dem das Individuum als flinke Flipperkugel nur so durch das Leben schnalzt.
In dieser Szenen-Sparsamkeit konnte Hans Escher seine Personen umso farbiger zeichnen: den Diener Habakuk unter anderem, von Martin Müller-Reisinger facettenreich in die Simplizissimus-Schablone gegossen. Das Kammermädchen Lischen, von Verena Koch treffsicher zwischen Koketterie und Intriganz gestellt. Rappelkopfs Frau Sophie, von Sigrun Schneggenburger in gewandter Präzision, pointiert überzeichnet.
Und schließlich den Menschenfeind selbst: Sven-Christian Habich, als Rappelkopf in seiner Lebensrolle. Eine zur Bühnenfigur geronnene Deix-Karikatur. In prägnanter Bösartigkeit ebenso wie im schlichten, aber tiefgreifenden Erkennen des eigenen Wahns. Im konsequenten Verzicht auf wiensprachliches Anbiedern ein Triumph für den grandiosen deutschen Volksschauspieler, der diese Figur in eine schrille Markanz meißelt. Beste Qualtinger-Qualität trifft auf joviale Juhnke-Ambivalenz. Hier bündeln sich schmissiges Entertainment und süffisante Selbstironie.
Viele Hüte ab vor seiner Leistung. Sie wird zum Leitgestirn eines vorprogrammierten Publikums-Hits.
(Irene Judmayer, Oberösterreichische Nachrichten, 25. September 2005)
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