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Unterhaltung ist, wenn Lachen nicht wehtut
Advent für Erwachsene: Warten aufs Christkind mit Raimund. Jetzt auch im Volkstheater
Wien „Theater ist ein Unternehmen, das Unterhaltung verkauft.“ Bertolt Brechts Definition aus dem Jahr 1926 gilt noch immer (wenngleich staatliche und städtische Bühnen heute ungleich höher subventioniert sind als damals, der Verkaufsgedanke folglich weniger im Vordergrund stehen sollte). Geändert hat sich der Begriff der „Unterhaltung“, der Brechts Definition zugrunde liegt.
War der Augsburger Dramatiker noch der Meinung, Denken und Erkenntnis könnten höchst vergnügliche und also unterhaltsame Angelegenheiten sein eine Auffassung, die vor ihm schon Theaterprofis wie etwa Shakespeare, Nestroy und Lessing mit Erfolg vertreten hatten so ist diese rührend altmodische Sicht der Dinge heute glücklich überstanden. Einer nachbrechtischen Generation von Unterhaltungsunternehmen sei dank, die unter dem Druck der Konkurrenz lernten und lehrten: Verkauft wird, was vom Denken befreit. Denn dieses, so der Umkehrschluss, strengt an und macht zudem höchst unfroh.
Ein Nachdenken über die Theaterpremieren der laufenden Saison bestätigt erstens dieses Diktum (es macht in der Tat höchst unfroh) und enthüllt zweitens die Gelehrsamkeit der Wiener Bühnen: Kaum ein Abend, der das Verdikt des Denkens anzutasten wagt.
Stattdessen wird bundesweit (drei Premieren allein in der vergangenen Woche) mit Ferdinand Raimund ins Feen- und Zauberreich entschwebt. Wobei: nichts gegen Raimund! Nicht dass, sondern wie er gespielt wird, ist schließlich das Werk der Gegenwart. Raimund, der ewig Zerrissene, der Mann, der Tragöde sein wollte, aber ein begnadeter Komiker war, der Lebenshungrige, der sich aus Angst vor dem Tod (ein Hund hatte ihn gebissen, was ihn befürchten ließ, er sei an der Tollwut erkrankt) totschoss: Raimund in seiner Zerrissenheit, er konnte gar nicht so staubzuckerfein dichten, so rosenblattlieblich, so lindenblattgrün, wie er heute in Wien zum Adventsmärchen für erwachsene Kinder verniedlicht wird. Nach Hans Gratzers Alpenkönig und Menschenfeind nun also Stephan Bruckmeiers Bauer als Millionär im Volkstheater.
Weiße Pappmascheeberge, blauer Himmel, gelber Neid und roter Hass: Alles ist bunt, alles ist putzig in Klaus Baumeisters biedermeierlicher Märchenbühnenwelt. Weil aber Bruckmeier die Gegenwart auf die Szene zu holen versprach, trägt der arme Fischer Karl (Christoph von Friedl), für den Lottchens (angenehm ungekünstelt: Vivien Löschner) Herz schlägt, Rastalocken inmitten der Puffärmelchenpracht.
Dass hinter solchem Zusammenprall aber mitnichten ein Regiegedanke steckt, der heimlich aus dem Bühnenexil zurückgekehrt wäre, beruhigt Erwin Steinhauer als Fortunatus Wurzel. Steinhauer schmettert Raimunds Sätze (seniorenfreundlich) fortissimo als Lachvorlagen. Mit dem Ensemble hinter seinem Rücken spielt der Solist eher ungern. Auch Textzusammenhang gilt dem Pointenkönig wenig, vom ökonomischen Moralisieren Raimunds zu schweigen. Ein echter Unterhalter! Fritz Muliar souverän als hohes Alter, Günter Franzmeier ein hermaphroditischer Neid: Vermutlich eine gelungene Premiere. Theater fürs zahlungsbegabte Volk.
Cornelia Niedermeier (Der Standard, 10. Dezember 2003)
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Neues Gesicht alter Charme
Volkstheater: Bruckmeier inszenierte „Der Bauer als Millionär“
Dass Zauber und synthetisch anmutende „Erdwelten“ nicht unbedingt ein Gegensatzpaar darstellen, beweist derzeit Stephan Bruckmeier im Volkstheater. Seine Neuinszenierung von Ferdinand Raimunds „Der Bauer als Millionär“ zeigt ein Miteinander von irdischer Lasterhaftigkeit und entrücktem Feenzauber, das seine Kraft in erster Linie aus altbewährten Stilmitteln des Theaters bezieht. Obgleich Bühne (Klaus Baumeister) und Kostüme (Ingrid Leibezeder) auf den ersten Blick modernes Theater versprechen, entpuppt sich Bruckmeiers Regiekonzept deutlich biederer als es den Anschein haben mag.
Was im Falle von Raimunds Zaubermärchen auch kein schlechter Ansatz ist, da die Pointen ohnedies “aufgelegt“ sind und vom Ensemble (speziell von Günter Franzmeier, Viktoria Schubert, Rolf Schwab, Johanna Mertinz) dementsprechend ausgekostet werden. Womit der Dauer-Flirt zwischen Traum und Realität nichts an seinem Charme einzubüßen hatte, was Montagabend auch vom Premierenpublikum entsprechend goutiert wurde.
Getragen wurde der Abend freilich in erster Linie von Erwin Steinhauer (Fortunatus Wurzel), der Schatten- und Lichtseiten des goldenen Wienerherzens brillant ausspielte und auch gesanglich überzeugte. Apropos Musik: Die beiden an der linken und rechten Bühnenseite platzierten Musiker (Helmut Burtscher, Gilbert Handler) unterstrichen ebenfalls Stephan Bruckmeiers ?klassisch-modernen? Regieansatz. Die Kombination aus Zither- und Synthesizerklängen schuf auf musikalischer Ebene einen ähnlich ineinander verschränkten Kosmos aus vordergründigen „Antipoden“ wie auf optischer.
Im Gegensatz dazu weitaus weniger nuanciert das Lottchen von Vivien Löschner. Scheinbar dazu angehalten, extrem zurückhaltend zu agieren, verliert sich ihre Persönlichkeit im bunten Treiben der Feenwelt. Gewohnt impulsiv hingegen Christoph Zadra als Kammerdiener Lorenz, der einmal mehr einer fiesen Kreatur die nötige Portion an Widerwärtigkeit einhaucht. Ebenfalls gelungen die Gegenüberstellung von Alter (Fritz Muliar) und Jugend (Dominik Kaschke).
Fazit: Stephan Bruckmeier (seit 2000 Intendant des Niederösterreichischen Donaufestivals) verpasste Raimunds Klassiker zwar ein modernes Gesicht, nicht aber einen neuen Ausdruck. Daran können und wollen auch Werner Schneyders feinsinnig-ironische Zusatzstrophen vom „Aschenlied“ nichts ändern.
Christine Dobretsberger (Wiener Zeitung, 10. Dezember 2003)
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Fauler und echter Zauber
Der Bauer als Millionär im Volkstheater
Ferdinand Raimund hat zur Zeit auf den Wiener Bühnen Saison. Eben erst versuchte sich das Theater in der Josefstadt mit mäßigem Erfolg an Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“. Im Volkstheater zeigt nun Regisseur Stephan Bruckmeier seine Version von „Der Bauer als Millionär“ und landet im direkten Vergleich einen Sieg nach Punkten.
Denn Bruckmeier sucht in dem Zaubermärchen um den verblendeten Fortunatus Wurzel wenigstens nach Bezügen zur Gegenwart, stellt vor allem auf der Menschenebene (das Feenreich bleibt blass) echte Typen auf die Bühne. Klaus Baumeisters meist auf Papp-Gebirge, Miniatur-Häuschen oder Grottenbahneffekte setzende Ausstattung hilft ihm dabei leider nicht.
Eine Reminiszenz an Frank Castorf, bunte, gewollt schrille Kostüme (Ingrid Leibezeder) und eine elektronische Musik-Kulisse Bruckmeiers Moderne bleibt oft im Ansatz stecken.
Drei Darsteller ragen aus dem vom Premieren-Publikum heftig beklatschten Spiel um gelungenen und faulen Zauber heraus: So gibt Erwin Steinhauer als Fortunatus Wurzel einen grobschlächtigen, sehr realen Emporkömmling, der aus seiner eigenen Bösartigkeit keinen Ausweg mehr findet. Stark: Steinhauers rührender Abschied von der, ihm wie aus dem Gesicht geschnittenen Jugend (Dominik Kaschke); bewegend und unbarmherzig der Auftritt des hohen Alters. Eine Partie, in der Fritz Muliar alle, auch die schelmisch-wissenden Register seines Könnens ziehen darf. Fein!
Als tumb-brutaler, präsenter Diener Lorenz veredelt Christoph Zadra eine wichtige Nebenrolle. Sympathisch-farblos: Vivien Löschner und Christoph von Friedl als um ihr Glück fast betrogenes Liebespaar. Aus dem Geisterreich finden noch der Neid (tändelnd: Günter Franzmeier) und der Hass (bodenständig: Viktoria Schubert) den Weg ins pralle Leben. Sonst ist alles einfach nett.
Peter Jarolin (Kurier, 10. Dezember 2003)
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Traum-Reise durch kollidierende Sphären
Stephan Bruckmeier inszenierte Raimunds „Bauer als Millionär“ im Wiener Volkstheater: mit sehr vielen Ideen, kurzweilig, nur halb gelungen.
Bäuerleins Alptraum: Erst wird ihm ein Mädchen aus der Feenwelt als Pflegekind aufgedrungen, und das ohne anständiges Kostgeld. Dann erbt der wackere Landmann von einem dubiosen Geist ein immenses Vermögen, verliert es wieder, steht bettelarm vor dem Nichts zu allem Überfluss, und wiederum durch einen üblen Trick der Geisterwelt, eisgrau, steinalt geworden . . .
In einem zur Höhle geschlungenen Riesen-Baum schläft Fortunatus Wurzel (Erwin Steinhauer) zu Beginn und Ende der Aufführung im Volkstheater: „Der Bauer als Millionär“ von Ferdinand Raimund lebenslang zwischen Poesie und Posse hin- und her gerissen. Bühnen, die um Weihnachten dieses romantische Zaubermärchen ansetzen, kalkulieren ein volles Haus.
Doch das Stück ist ein Irrlicht. Es lockt den Wanderer auf des Dichters Spuren ins Moor, wo er leicht untergehen kann. Hier blinkt die Zauberwelt, Vorsicht: Kitsch! Dort flackern Psychologie, Philosophie, Vorsicht: Trübsinn! Nie können Special Effects im Theater an jene von Film, Fernsehen, Comic und Fantasy heranreichen. Da lauert das Patscherte, Peinliche und Raimunds zungenbrecherische Sprache erst. Ojegerl!
Regisseur Stephan Bruckmeier schlägt sich wacker und meidet biedermeierlichen Lack. Es geht derb zu in Bauer Wurzels Stadthaus. Da wird gerauft, gegrölt und gesoffen wie daheim auf dem Land. Diener Lorenz (Christoph Zadra) schlägt Lottchen (Vivien Löschner) zu Boden. Herr von Wurzel brüllt herum, Besucher der Galerie haben diesmal gewiss keine Hörprobleme.
Mit Steinhauer gewann Bruckmeier ein schauspielerisches Schwergewicht das aber wie leicht aus der Balance geraten wirkt. Dieser Wurzel ist ein rurales Urviech. Vom Land hat es ihn in die Stadt verschlagen, dort führt er sich nun, wohl auch aus Unsicherheit, auf wie der Elefant im Porzellanladen. All das hat man binnen kurzem begriffen und würde nun gern noch andere Facetten sehen. Die gibt es auch, zwischendurch. Steinhauer wäre eine Ideal-Besetzung für die Rolle, man spürt es in Ansätzen, aber die Maschine läuft (noch) unrund.
Man merkt es vor allem im Kontrast zu Fritz Muliar, der das Hohe Alter spielt, mit leisem Grimm, Galgenhumor und viel Schadenfreude, ein Charakter aus einem Guss.
Verunglückt wirkt hingegen die Zufriedenheit (Gabriele Schuchter), meist selig lächelnd, dann plötzlich kreischend. Nicht die einzige ironische Note! Ach. Insgesamt hatte Bruckmeier zu kämpfen im Spagat zwischen Volkskomödie und Seelendrama. Zerrissen hat es die Inszenierung zwar nicht, aber immer wieder knarrt es merkbar.
Ganz schlimm: Wenn gegen Ende das Ensemble im Hass-Palast herum rennt, rein, raus, Tür auf, Tür zu. Dafür wurden zwei Schlager Wurzels rüde zerhackt: Das Auftritts-und das Aschenlied, letzteres erscheint am Schluss, eher schwächlich aktualisiert von Werner Schneyder. Während Bruckmeier also auf das Klassische pfeift, hat er viel nachgedacht: außer Lottchen und ihrem Karl (Christoph von Friedl) gibt es noch zwei Liebespaare, den Hass (Viktoria Schubert) und die Liebe (Wolfgang Klivana), Zenobia (Doris Weiner) und Ajaxerle (Rolf Schwab). Günter Franzmeiers Neid hat den Mund mit Galle voll, er spricht den Satz: „Des ist net zum derspielen.“ Vor allem dann nicht, wenn man der Sprache zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.
Während in Schlüsselrollen mehr oder weniger effektvoll „gewurstet“ wird, so gut es geht, schuf Bruckmeier allerhand hübsche Neben-Figuren: Die Jugend ist kein ernstes Mädchen, sondern ein vitaler Bauernlackel mit Ball (Dominik Kaschke), Fee Antimonia (Sabine Herget) sieht aus wie eine nicht mehr taufrische Disco-Braut, Johanna Mertinz (Lakrimosa) leidet hinter duftigem weißem, Peter Vilnai (Kegelbahn-Wärter Nigowitz) raunzt hinter duftigem schwarzen Schleier (Kostüme: Ingrid Leibezeder). Gespenstisch wechselt das Licht, prägnant wie eine Ö1-Signation: die Musik (Leitung: Gilbert Handler).
Auch handfeste Habitués zeigten sich von der stark akklamierten Aufführung angetan. Dennoch: Das Werkel müsste geölt werden, vielleicht wird's ja noch.
Barbara Petsch (Die Presse, 10. Dezember 2003)
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„Der Bauer als Millionär“ im Volkstheater: Raimund süß-sauer
Wien (APA) Er wolle Raimunds „Der Bauer als Millionär“ in die heutige Realität holen, hatte Regisseur Stephan Bruckmeier versichert, und ganz zu Beginn der Premiere gestern, Montagabend, im Volkstheater Wien, scheint sich tatsächlich ein interessantes Spannungsverhältnis anzukündigen. Doch kaum sieht man die Bühne von Klaus Baumeister (der auch ohne „Alpenkönig“ nicht auf Papp-Gebirge verzichten möchte) und die verspielten Kostüme Ingrid Leibezeders, weiß man, dass mehr versprochen als gehalten wurde. Daran ändert auch die große Bühnenpräsenz des Vollblutschauspielers Erwin Steinhauer als Fortunatus Wurzel nichts.
Unterm Strich hat man es mit einer vorsichtigen, ganz auf die Stärken des heimischen Klassikers setzenden, aber wenig an neuer Interpretation hinzufügenden Inszenierung zu tun, die vom Premierenpublikum mit reichlich Applaus gefeiert wurde. Die Feenwelt, in der die bösen Kräfte (ein köstlich naiver Neid: Günter Franzmeier, ein gegen die Kraft der Liebe hilfloser Hass: Viktoria Schubert) mit den guten Geistern (eine Lakrimosa wie aus dem Kinderstück: Johanna Mertinz, ein routiniert schwäbelndes Ajaxerle: Rolf Schwab) ringen und dabei die Menschen als Spielmaterial benützen, sind so zaubrisch-schillernd wie eh und je. Wenn die Götter von ihrem kleinen metallischen Laufsteg aus den Lüften via Lift zur ebenen Erd’ fahren, dann geraten sie auf ein Terrain, das Bruckmeier wesentlich besser gelingt.
Im Gefolge des zum „Herrn von Wurzel“ gewordenen Bauern tummeln sich Lemuren, dass es nur so eine Freude ist. Das Saufgelage zeigt eine Gesellschaft, die alle Hemmungen verliert, Christoph Zadra als Wurzels Kammerdiener Lorenz fügt seiner Reihe hervorragend gestalteter Nebenfiguren eine weitere eindrucksvoll stets auf den eigenen Vorteil bedachte menschliche Krätz’n hinzu. Erwin Steinhauer zeigt einen in der Gemeinheit aus dem Leim geratenen Neureichen, der Gift und Galle versprüht, weil das Geschwür des Selbstzweifels bereits an seinen Eingeweiden nagt. Er kann sich selbst nicht leiden, und das lässt er die anderen leidvoll spüren. Mit dem Lottchen, seinem „Mädchen aus der Feenwelt“ (Vivien Löschner, blass wie ihr geliebter Fischersmann Christoph von Friedl) springt er ziemlich brutal um.
Der Auftritt der Allegorien ist einfach glänzend geschriebenes Theater da kann kaum etwas schiefgehen, und das tut es auch nicht, wenn Dominik Kaschke als Basketball spielende Jugend und Fritz Muliar als am Stock gehendes Hohes Alter auftreten. Die Lieder zählen trotz des interessanten Konzeptes mit Zither und Synthesizer insgesamt nicht zu den Höhepunkten des Abends, das gilt auch für das Aschenlied, das Bruckmeier samt harmloser Zusatzstrophen von Werner Schneyder nochmals als Schlusspunkt bringt.
Kein entschärfter, aber auch kein scharf gemachter Raimund der nach eigener Aussage begabte Koch Bruckmeier hat sich für die Variante süß-sauer entschieden. Ein zweieinhalbstündiger Theaterabend, den man trotz erstaunlicher Längen im zweiten Teil bedenkenlos empfehlen kann, den man aber gewiss nicht allzu lange in Erinnerung behalten wird.
(Tiroler Tageszeitung/APA, 9. Dezember 2003)
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